sichere Bindung ≠ kein unerwünschtes Verhalten
Eine sichere Bindung bedeutet nicht, dass dein Hund kein unerwünschtes Verhalten mehr zeigt. Du und dein Hund können eine sichere Bindung haben und trotzdem zeigt dein Hund z.B. Jagdverhalten oder pöbelt an der Leine.
Die sichere Bindung stellt die Basis dar, um an unerwünschtem Verhalten zu arbeiten, und viel unerwünschtes Verhalten tritt gar nicht erst auf, wenn eine sichere Bindung besteht oder auf eine sichere Bindung hingearbeitet wird. Darauf kann dann aufgebaut werden: Rollen und Aufgaben können verteilt und Regeln des Zusammenlebens können besprochen werden.
Es kann sogar sein, dass der Hund aufgrund der sicheren Bindung und seiner Rolle, die er in eurem Miteinander eingenommen hat, erst recht das unerwünschte Verhalten zeigt. Zum Beispiel dann, wenn er eine Beschützerrolle einnimmt und dich vehement beschützt, da du seine wichtigste Bindungsperson bist. Oder der Hund fühlt sich so sicher bei dir, dass er erst recht Jagdverhalten zeigt, da er weiß, er kann jederzeit in deinen sicheren Hafen zurückkehren.
Anleitung zur sicheren Bindung
Die sichere Bindung besteht aus mehreren Aspekten - vier Blätter des Kleeblatts -, die alle zu gleichen Teilen berücksichtigt werden müssen. Je nachdem, wo du mit deinem Hund gerade in eurer Beziehung stehst, braucht es somit was anderes, um eure Beziehung zu verbessern.
Deshalb kann es auch keine Baukasten-Anleitung a la “du musst nur dies und jenes tun und dann habt ihr eine sichere Bindung” geben. Solche Aussagen haben meiner Meinung nach in der Hundeerziehung generell nichts verloren, egal um welches Thema es geht. Jedes Mensch-Hund-Team ist individuell und es gibt deshalb keine universal anwendbaren Anleitungen.
Es gibt die vier Aspekte, auf die bei der Erziehung geachtet werden sollte. Innerhalb dieser Aspekte kann mit Übungen, Regeln, Veränderungen und dergleichen gearbeitet werden, um diesen Teilbereich zu verbessern. Ein Baukasten-Anleitung dafür kann es jedoch nicht geben.
Eine zu starke Bindung
Gibt es so etwas wie eine zu starke Bindung? Nein, es ist nicht möglich, dass Hunde zu stark gebunden sind und deshalb Verhaltensprobleme auftreten. Ist ein Hund sicher gebunden, dann sind Innenfokus und Außenfokus ausgeglichen, der Hund sucht Nähe und zeigt eine Trennungsreaktion, die aber nicht übermäßig ist. Ein Hund, der nicht sicher gebunden ist, ist unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend oder desorganisiert gebunden. Wenn ein unerwünschtes Verhalten eines Hundes mit dem Bindungsstil zusammenhängt, dann rührt dies von einem dieser Bindungsstile.
Tierheimhunde und ältere Hunde können keine Bindung mehr aufbauen
Auch ältere Hunde können noch sichere Bindungen aufbauen, genauso wie Hunde aus dem Tierschutz. Es gibt kaum Hunde, die es wahrscheinlich nicht mehr schaffen, eine sichere Bindung aufzubauen. Das sind Hunde, die im jungen Alter sehr isoliert aufgewachsen sind und somit zu wenig Erfahrungen mit Bezugspersonen gemacht haben bzw. nie Bindung erlebt haben. Wenn Hunde in jungem Alter kaum Erfahrungen jeglicher Art machen können, dann spricht man von Deprivation. Ist dies der Fall, wird es schwierig, im Extremfall kaum möglich, eine sichere Bindung mit dem Hund zu erarbeiten.
Bindung und Futter
Das Bereitstellen von Futter ist kein Aspekt der sicheren Bindung. Es deckt ein Grundbedürfnis ab und bei Nichterfüllung kann keine sichere Bindung aufgebaut werden. Jedoch trägt es nicht zu einer sicheren Bindung bei, wer das bessere Leckerchen hat. Mit Leckerchen und Futter kann keine Bindung aufgebaut werden - es geht bei Bindung um soziale Faktoren. (Mehr dazu im Blogartikel: Was ist Bindung?)
Mensch-Hund-Bindung: Gansloßer, Udo und Kitchenham, Kate (2015). Beziehung - Erziehung - Bindung. Forschung im Dienst des Mensch-Hund-Teams. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co KG. S.85-114.
Nähe Suchen beim Schlaf: Krivy, Petra und Gansloßer, Udo (2018). Hundeverhalten verstehen. Mein Hund - dominant und ungebunden. Stuttgart: Müller Rüschlikon Verlag. S.29
Deprivation & Bindung: Sapolsky, Robert (2021). Gewalt und Mitgefühl. Die Biologie des menschlichen Verhaltens. München: Piper Verlag GmbH. S.266-267.
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