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Anna Reiterer

Was ist Bindung?


In der Hundeerziehung werden Menschen, die Probleme mit ihrem Hund haben, gerne mal auf die nicht vorhandene oder schlechte Bindung verwiesen. Dabei wird oft außer Acht gelassen, was Bindung eigentlich ist und was es nicht ist. Und eines ist sie auf keinen Fall: die Lösung all unserer Probleme!

Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht wichtig ist im Umgang mit unseren Hunden. Die Aspekte der Bindungstheorie sollten in der Mensch-Hund-Beziehung immer mitgedacht werden und als Basis für das Zusammenleben dienen. Ich hoffe, ich kann euch in diesem Blog-Artikel einen kleinen Einblick geben, was hinter der Bindungstheorie steckt und wie wir sie im Alltag mit unseren Hunden berücksichtigen können.



Bindungstheorie und der Strange-Situation-Test


Wenn wir über Bindung sprechen, dann gibt es zwei Forscher:innen, die unbedingt genannt werden müssen: Mary Ainsworth und John Bowlby. Diese beiden Forscher:innen haben mit ihrem Strange-Situation-Test (Fremde-Situationen-Test) einen enormen Beitrag zur Bindungsforschung und als weitere Konsequenz auch für den Pädagogik- und generell den Erziehungsbereich geleistet.


Dieser Test wurde für Kinder entworfen und analysiert in mehreren Phasen die vier Aspekte einer sicheren Bindung (Nähe suchen, Trennungsreaktion, sicherer Hafen, sichere Basis). Dabei sind die Kinder zuerst mit ihren Bindungspersonen (meist Müttern) in einem unbekannten Raum mit Spielsachen. Es kommt dann im Laufe des Versuchsaufbaus eine fremde Person hinzu, das Kind ist mit der fremden Person alleine oder das Kind ist ganz alleine. Zwischendurch kehrt die Bindungsperson wieder zurück und auch das Verhalten bei der Wiedervereinigung wird beobachtet.


Dieser Test kann auch für Hunde durchgeführt werden und die Ergebnisse zeigen, dass sich die Mensch-Hund-Bindung tatsächlich mit der Eltern-Kind-Bindung vergleichen lässt. Hier eine vielleicht spannende Anmerkung: Dieser Test wurde auch schon mit Katzen durchgeführt, jedoch gestaltet sich die Durchführung hier einerseits schwieriger, weil Katzen sehr ortsgebunden sind, andererseits konnte aber kein vergleichbares Bindungsverhalten gefunden werden. Udo Gansloßer und Kate Kitchenham zitieren in ihrem Buch dazu einen schönen Satz von Kurt Kotrschal: “Katzen (...) haben die Option, mit dem Menschen eine Bindung einzugehen, Hunde dagegen haben dafür ein ausgesprochenes Bedürfnis.” (Kotrschal et al., 2013, in Gansloßer und Kitchenham, 2015, S.114).


Die Ergebnisse des Strange-Situation-Tests konnten in vier Bindungsstile eingeteilt werden:

  • sichere Bindung

  • unsicher-vermeidende Bindung

  • unsicher-ambivalente Bindung

  • chaotisch oder desorganisierte Bindung



Das Modell vierblättrigen Kleeblatts bzw. die vier Aspekte

einer sicheren Bindung


Im Zusammenleben mit unseren Hunden wollen wir auf eine sichere Bindung hinarbeiten. Wie erkennt man nun eine sichere Bindung? Dafür gibt es die vier Aspekte, die auch als vier Blätter eines Kleeblatts bezeichnet werden. Für eine sichere Bindung sollte jedes der vier Blätter ungefähr gleich groß sein.


Nähe suchen: Das erste Blatt ist der Aspekt “Nähe suchen”. Das bedeutet, dass der Hund immer wieder und vermehrt die Nähe zu seinem Mensche


n sucht. Dazu muss der Hund nicht immer in der unmittelbaren Nähe sein, sondern das funktioniert auch auf Distanz (z.B. durch Blickkontakt). Somit sollte das Suchen von Nähe in der Erziehung nicht permanent unterdrückt werden. Es gibt durchaus Hunde, wo es Sinn macht mehr Distanz einzufordern, immerhin sollten die vier Blätter ja ausgeglichen sein. Wird das Nähe suchende Verhalten jedoch permanent unterbunden, entsteht eine vermeidende Bindung.

Ein wichtiger Punkt zum Blatt “Nähe suchen” ist, dass Hunde vor allem nachts die Nähe zu ihren Bindungspersonen suchen. Wie ihr das mit eurem Hund handhaben wollt, müsst ihr individuell entscheiden. Es gibt jedenfalls einige Studien, die positive Effekte finden konnten, wenn Hunde nachts in der unmittelbaren Nähe ihrer Bindungspersonen schlafen.


Trennungsreaktion: Das zweite Blatt beschreibt die Trennu


ngsreaktion. Ein sicher gebundener Hund zeigt eine Trennungsreaktion, wenn ihn seine Bindungsperson verlässt. Diese Trennungsreaktion sollte jedoch nicht übermäßig stark sein. Eine Reaktion, die sich innerhalb des Bereiches einer sicheren Bindung befindet, ist zum Beispiel der sogenannte Loneliness Cry. Der Loneliness Cry klingt ein bisschen wie Wolfsgeheul und ist ein Suchruf nach der Bindungsperson. Er meint also so etwas wie "Hier bin ich, wo bist du?”. Dieser Ruf geht nicht mit einem höheren Stress- bzw. Cortisollevel einher. Ein weiteres Verhalten, das bei sicher gebundenen Hunden in einer Trennungsreaktion auftreten kann, ist das Liegen vor der Tür. Dabei reagiert der Hund auf die Trennung von seiner Bindungsperson und wartet auf ihre Rückkehr.


Hier muss nochmal erwähnt werden, dass alleine bleiben einfach geübt werden muss. Der Hund muss lernen dürfen, dass der Mensch verlässlich zurückkommt. Hierfür ist die sichere Bindung eine Basis, sie bedeutet jedoch nicht, dass ich den Hund immer und überall einfach alleine lassen kann.




Sicherer Hafen: Das dritte Blatt beschreibt den Aspekt des sicheren Hafens. Der Hund weiß, dass der Mensch ihm soziale Unterstützung bietet und dass er sich in Krisensituationen auf diese Unterstützung verlassen kann. Dieses Blatt wird auch als Innenfokus bezeichnet.


Sichere Basis: Das vierte Blatt stellt den Aspekt der sicheren Basis dar. Der Hund kann seiner Neugierde und seinen Interessen nachgehen und Erkundungsverhalten zeigen, da er weiß, dass er jederzeit in den sicheren Hafen zurückkehren kann. Der Hund kann sich somit räumlich entfernen und seine Aufmerksamkeit etwas anderem widmen und sich gleichzeitig sicher sein, dass der Mensch verfügbar ist, wenn er ihn braucht. Kleben Hunde nur an ihrem Menschen, dann weist das auf eine unsicher-ambivalente Bindung hin. Dieser Aspekt wird auch Außenfokus genannt.



Wie schon erwähnt, sollten alle Blätter gleich groß und ausgeglichen sein. Deshalb wollen wir eine Balance, vor allem zwischen den Aspekten Innenfokus und Außenfokus. Das heißt im nächsten Schritt jedoch auch, dass wir unsere Hunde nicht dazu erziehen wollen, ständig mit ihrer Aufmerksamkeit bei uns sein zu müssen. Hunde dürfen auch mal ihren Interessen nachgehen und explorieren.



Bindungsstile


Wie oben besprochen, haben es die Ergebnisse des Strange-


Situation-Test ermöglicht, Bindungen in vier Stile zu unterteilen.


sichere Bindung: Der erste Stil ist die sichere Bindung. Auf diesen Bindungsstil wollen wir mit unseren Hunden hinarbeiten. Er zeichnet sich durch die schon besprochenen vier Blätter des Kleeblatts aus. Für unseren Alltag mit Hund ist hier noch wichtig zu erwähnen, dass man in einer sicheren Bindung auch einfach sehr gerne Zeit mit seiner Bindungsperson verbringt. Es macht einfach Spaß. Oft vergessen wir den Spaß im Zusammenleben mit unseren Hunden und die Erziehung oder das Training rücken in den Vordergrund. Vor allem, wenn wir Themen mit unseren Hunden haben, die uns im Alltag sehr beschäftigen oder die sehr belastend sind, dann vergessen wir auf den gemeinsamen Spaß.


Unsicher-vermeidende Bindung: Der zweite Bindungsstil wird als unsicher-vermeidende Bindung bezeichnet. Hunde, die diesen Bindungsstil haben, ver


suchen alle Aufgaben und Probleme alleine zu lösen und brauchen ihren Menschen dazu nicht. Auf eine Trennung von ihrer Bindungsperson reagieren sie meist kaum oder gar nicht. Sie entwickeln somit eine sehr starke Pseudo-Unabhängigkeit, in der es scheint, als würden sie alles alleine meistern. Jedoch brauchen sie ihre Bindungsperson eigentlich.


Unsicher-ambivalente Bindung: Der dritte Stil ist die unsicher-ambivalente Bindung. Diese Hunde zeigen ambivalentes Verhalten gegenüber ihrer Bindungsperson. Im Extremfall pendelt das Verhalten zwischen anhänglichen und aggressiven Verhaltensweisen - bis hin zu Beißen - hin und her.


Desorganisierte oder chaotische Bindung: Der vierte Stil nennt sich desorganisiertes oder chaotisches Bindungsverhalten. Hunde, die diesen Bindungsstil haben, zeigen schon bei kurzer Trennung Stereotypien oder Zerstörungsanfälle. Wie sich dieser Stil sonst noch äußert, kann sehr unterschiedlich sein. In der Eltern-Kind-Bindung haben Kinder dieses Stils oft Missbrauch oder Misshandlung erlebt.




Was unterscheidet eine Bindung von anderen Arten von Beziehungen?


Eine Bindungsperson ist nicht ersetzbar. Bindungen können zu mehreren Personen eingegangen werden, keine dieser Personen ist jedoch durch eine andere Person ersetzbar. Es gibt dazu ein sehr tragisches Beispiel, dass dieses Merkmal aber sehr gut veranschaulicht: wenn ein Kind stirbt, dann kann es für die Eltern auch nicht einfach durch ein anderes Kind ersetzt werden.


Bindung löst nicht all unsere Probleme in der Erziehung. Nichtsdestotrotz ist es für mich wichtig, die Aspekte der Bindungstheorie in der Erzi


ehung, im Training und im Zusammenleben mit unseren Hunden zu bedenken. Bei der Wahl von Erziehungsmethoden oder dem Aufstellen von Regeln für den Alltag sollten wir uns immer auch fragen, ob diese im Einklang mit einer sicheren Bindung stehen.




Mensch-Hund-Bindung: Gansloßer, Udo und Kitchenham, Kate (2015). Beziehung - Erziehung - Bindung. Forschung im Dienst des Mensch-Hund-Teams. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co KG.


S.85-114.


Nähe Suchen beim Schlaf: Krivy, Petra und Gansloßer, Udo (2018). Hundeverhalten verstehen. Mein Hund - dominant und ungebunden. Stuttgart: Müller Rüschlikon Verlag. S.29



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